Fernsehbeiträge über Hundetraining erfreuen sich großer Beliebtheit unter HundefreundInnen. Jedoch sind nicht alle der darin kommunizierten Tipps zur richtigen Hundeerziehung fachlich korrekt oder gar die richtige Methode für den eigenen Hund. Die häufigsten Fehlinformationen habe ich hier für euch zusammengefasst, um euch einen kritischen Medienkonsum zu erleichtern.
1. Der Hund muss sich unterordnen und alles, was wir mit ihm machen, akzeptieren.
Auch ein Hund hat manchmal einen Grund, Nein zu sagen. Knurren ist ein wichtiges Anzeichen für Unwohlsein. Auf der Abbildung „Eskalationsleiter“ wird veranschaulicht, wie sich das Verhalten des Hundes in den „Rote Zone“-Bereich verschiebt. Dabei können verschiedene Schritte aus unterschiedlichsten Gründen übersprungen werden. Kann der Hund zum Beispiel nicht weggehen, wird er je nach Grad der Bedrängung vielleicht gleich zur Selbstverteidigung übergehen. Hat er gelernt, dass er seine „Beschwichtigungssignale“ wie über den Fang lecken, Kopf abwenden usw. ihn nicht weiterbringen, wird er eher Knurren. Die nächsten Schritte sind dann das Zähne zeigen, eine drohende Körperhaltung, Abschnappen und Beißen, wobei der Übergang vom Zähne zeigen zum Abschnappen und Beißen sehr schnell passieren kann. Unterbindet man nun also das Knurren, wird ein Abschnappen oder Beißen dieses Hundes künftig evtl. ohne sichtliche Vorwarnung passieren.
In unseren Kindern fördern wir heute Autonomie, eigenständiges Denken und Proaktivität. Ebenso sind wir verantwortlich und haftbar für unsere Hunde und wollen deshalb, dass diese unseren Wünschen und den Vorstellungen unserer Umwelt entsprechen. Studien zeigen, dass Menschen mit Hunden viel eher wahrgenommen werden als solche ohne, und dass der Hund dabei einen besonders starken Eindruck hinterlässt. Intuitiv spüren wir das natürlich.
Genauso, wie eine Frau heutzutage eine Einladung zu einem Drink ablehnen darf, dürfen unsere Hunde uns mitteilen, dass bzw wenn sie etwas unangenehm finden und solche Situationen (zB Tierarztbesuch, Streicheln von Fremden…) noch in einfacheren Versionen üben müssen. Dies ist wichtige Information: Wenn wir hier rechtzeitig reagieren, vermeiden wir, dass der Hund Strategien aus dem roten Bereich anwenden muss. Knurren ist Kommunikation, keine Beleidigung.
2. Ein kurzer Schreckreiz hilft dem Hund, seine Aufmerksamkeit wieder auf uns zu lenken.
Schepperdosen, durch Menschenhände simulierte Bisse, Schreien usw. erschrecken den Hund. Der Hund verbindet den Schreckreiz womöglich mit seiner Bezugsperson, Fremden, anderen Hunden oder gar Kindern. Egal, ob man den Hund plötzlich stupst, mit dem Fuß touchiert, mit Wasser überschüttet oder einen merklichen „Leinenimpuls“ gibt, er erschrickt. Er empfindet diesen Reiz als unangenehm. In der Lerntheorie bezeichnet man solche Reize als „ hinzugefügte Strafe“ – auch wenn sie nicht notwendigerweise schwere Schmerzen oder Leiden verursachen. Womöglich stellt der Hund auf diesen Reiz hin auch das unerwünschte Verhalten ein und guckt uns verdutzt an – er lernt aber keinesfalls, durch welches Verhalten er diesen unangenehmen Reiz von vornherein vermeiden kann.
Dem Laien erscheint das Problem gelöst – Aufmerksamkeit erregt, unerwünschtes Verhalten unterbrochen. (Anm. der Autorin: Der Hundehalter fühlt sich also für seinen „Strafeinsatz“ belohnt, denn er kam zum Erfolg – und wird deshalb künftig wahrscheinlich wieder so mit seinem Hund umgehen. So funktioniert positive Bestärkung: Sie macht Verhalten wahrscheinlicher, auch wenn es aus Sicht eines anderen KEIN erwünschtes Verhalten ist.). Schon Steven R. Lindsay schrieb im „Handbook of Applied Dog Behavior and Training“, dass beim Einsatz von unangenehmen Reizen nicht der Schmerz, sondern nur eine Angstkomponente konditioniert werden kann. Diese Angst- oder auch nur Unsicherheits-Komponente wiederum verknüpft der Hund aber mit irgendetwas, das sich gerade in seinem unmittelbaren Blickfeld befand und nicht notwendigerweise mit dem von uns unerwünschten Verhalten.
Durch Schreckreize helfen wir dem Hund also nicht, wir verunsichern ihn. Das kann zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten wie Ängstlichkeit oder Aggression führen. Aufgrund dieser Risiken arbeiten kompetente TrainerInnen mit Belohnung. Sie bringen dem Hund eine Lösungsstrategie in Form eines Ersatzverhaltens bei, das entsprechend bestätigt wird. So könnte man anstatt des Anstupsens oder dem Einsatz einer Wasserflasche dem Hund zum Beispiel ein Aufmerksamkeits- und/oder Abbruchsignal beibringen, auf das hin er sich in freudiger Erwartungshaltung zu seiner Bezugsperson orientiert. Eine solche Trainingsstrategie verringert die Wahrscheinlichkeit von negativen Fehlverknüpfungen und somit das Risiko für Dritte.
3. Du musst deinem Hund deine Position als Rudelführer klarmachen.
Wusstest du, dass die Ahnen unserer Haushunde in sozialen Familienverbänden zusammenleben wie wir? Ein Wolfsrudel wird von den Elterntieren angeführt und von der letzten Kinder-Generation bei der Aufzucht der Welpen unterstützt. Die Hackordnung, die zur Empfehlung von rang-basierten Erziehungsmethoden führte, wurde ursprünglich bei Hühnern beobachtet und dann auf wild zusammengewürfelte Wölfe in kleinen Gehegen übertragen. Das ist in etwa so aussagekräftig, wie anhand der Population in einem Gefängnistrakt Aussagen über unsere Gesellschaft im Allgemeinen zu treffen. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über die Interaktion von Wölfen und Hunden zeigen, dass Dominanz in erster Linie situations- und ressourcenabhängig ist.
Die Rudelführer sind Papa und/oder Mama – die keinesfalls rund um die Uhr ihren Status absichern und untermauern müssen, sondern aufgrund ihres souveränen Verhaltens als solche akzeptiert werden. Natürlich bist du verantwortlich für deinen Hund – und ziemlich sicher ist er sich seiner Abhängigkeit von dir bewusst, gibt es doch keinen Spaziergang, Futter oder Sozialkontakt ohne Mensch. Damit du als “Leitwolf” akzeptiert wirst, bedarf es lediglich eines konsequenten und liebevollen Umgangs mit dem Hund. Gewiss gibt es individuelle Hunde, bei denen es beispielsweise Sinn macht, als erstes durch die Türe zu gehen – das hat dann aber nichts mit der Rangordnung sondern mehr mit Sicherheit und/oder Impulskontrolle zu tun. Wenn du erwünschtes Verhalten bestätigst, wird es häufiger auftreten.
4. Mit besonders schwierigen Hunden muss man einfach körperlicher umgehen.
Besonders schwierige Hunde, die im TV gelegentlich als “Red Zone Dogs” bezeichnet werden, haben meist schon viel Erfahrung mit unerwünschten oder potenziell gefährlichen Verhaltensweisen gesammelt. Oft wird im Fernsehen ein körperlicher Umgang mit dem Hund als psychologische Maßnahme verkauft und damit argumentiert, Hunde würden miteinander auch so umgehen. Langjährige Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Kognition und Psychologie hingegen weisen darauf hin, dass körperliche “Korrekturen” lerntheoretisch als Strafen zu verstehen sind und entsprechend negative Auswirkungen haben können. Das bedeutet, die Hunde empfinden diese als unangenehm – wodurch bestimmte Situationen und/oder Reize für die Hunde eine negative Valenz bekommen.
Je nachdem, wie lange und erfolgreich sie das unerwünschte Verhalten bisher ausführten, kann es natürlich dauern, sie mit positiver Bestärkung “umzupolen”. Belohnungsorientiertes Training zielt darauf ab, die dem Verhalten zugrundeliegenden Emotionen zu verändern – was seine Zeit brauchen kann. Mit richtigem Timing, Motivation und einer passenden Belohnungsrate lässt sich jedes Tier trainieren! Das Ziel beim belohnungsorientierten Training ist freudige Kooperation.
5. Hunde sind untereinander auch nicht zimperlich.
Das mag bei bestimmten Individuen oder Rassen durchaus so sein. Wir Menschen ahmen hündisches Verhalten jedoch meist mit unseren Händen nach – ob der Hund das richtig versteht ist allerdings fraglich. Jedenfalls ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen uns und unseren kaniden Freunden, dass sie vorrangig ihr Maul benutzen, wo wir unsere Hände einsetzen. Das bedeutet wiederum, dass der Hund auf einen mit der Hand simulierten Biss oder einen Schubser im Affekt höchstwahrscheinlich mit seiner gut bezahnten Schnauze antwortet – und da wir Menschen kein schützendes Fell mehr haben, können wir so groben Schaden nehmen.
Kleine Kinder sind untereinander gelegentlich auch nicht besonders zimperlich – trotzdem bringen wir ihnen bei, sich nicht gegenseitig eins mit dem Schauferl überzuziehen sondern anderen Kommunikationsstrategien den Vorzug zu geben. Genauso sollten wir auch mit unseren vierbeinigen Schutzbefohlenen nicht über Konfrontation und Konflikte arbeiten, sondern ihnen die Kooperationsbereitschaft im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft machen.
6. Kleine körperliche Korrekturen sind doch keine Strafen.
Methoden, die ein Verhalten durch Zuführen von etwas Unangenehmen hemmen, gelten als Strafe – ganz egal, wie intensiv die Korrektur ist. Denk an an dich selbst: Ständiges Antippen auf die Schulter wird auf Dauer lästig und führt möglicherweise zu einer gereizten Reaktion, auch wenn der Antippser eigentlich nur deine Aufmerksamkeit erregen wollte. Anstatt den Hund immerzu zu korrigieren, empfiehlt es sich, ein Abbruchsignal und eine erwünschte Ersatzhandlung des Hundes zu trainieren. Möchtest du beispielsweise nicht, dass dein Hund fremde Menschen auf der Straße anspringt, könntest du ihn mit einem Hörzeichen, auf das er sich freudig zu dir orientiert (= Abbruchsignal), unterbrechen, ein Sitz einfordern und dieses bestätigen. So ersparst du dir selbst und deinem Hund, an der Leine ziehen oder gar ihn stupsen oder anbrüllen zu müssen.
7. Wenn man den Hund unterwirft, muss man ihn solange runter halten, bis er sein Fehlverhalten anerkennt.
In freier Natur findet Unterwerfung nur freiwillig statt und wird nie erzwungen. Der sogenannte Alphawurf wird vom Hund eher als lebensbedrohlicher Vertrauensbruch verstanden und nicht als “notwendige Maßnahme”. Ein Hund, der keinen sichtbaren Widerstand mehr leistet, lernt nur, sich seiner Hilflosigkeit hinzugeben. Als erlernte Hilflosigkeit bezeichnet man ein psychologisches Phänomen das erstmals in den späten 1960er Jahren an Hunden erforscht wurde. Hunde, die ohne Lösungsstrategien zu erlernen oftmals aussichtslosen, bedrohlichen Situationen ausgesetzt werden, reduzieren ihr Verhaltensrepertoire aufgrund der erfahrenen Machtlosigkeit so sehr, dass sie sich der Situation nicht mehr zu entziehen versuchen. Bis sie dies vielleicht irgendwann einmal nicht mehr aushalten…
8. Wenn der Hund kein Verhalten (mehr) zeigt, ist er entspannt.
Unterwerfung ist kein entspannter Zustand. Sich ganz steif zu machen und einzufrieren ist es ebenfalls nicht – sondern viel mehr eine der vier möglichen Reaktionen auf bedrohliche Situationen. Alternativ kann es auch zur Flucht – oder wenn diese nicht möglich ist, weil der Hund beispielsweise durch eine Leine gesichert oder in eine Ecke gedrängt wird – zum Kampf kommen. Beides kann potenziell gefährlich sein. Friert der Hund sehr oft ein, weil er sich einer Situation nicht entziehen kann, begibt er sich ebenfalls in Richtung erlernter Hilflosigkeit. Eine derartig reduzierte Kommunikationsbereitschaft birgt große Gefahren wie etwa Zubeißen ohne Vorwarnung.
Und weil’s so schön zum Thema passt und ich wahnsinnig stolz darauf bin: Nächste Woche halte ich übrigens auf der 2. PetExpo in Wien am Samstag und Sonntag jeweils einen Vortrag zum Thema “TV-Hundetraining kritisch betrachtet”. Darüber hinaus möchte ich auch auf das Podiumsgespräch “TV-Hundetrainings-Shows im Licht des Status Quo in Österreich” hinweisen, das am 13. Juni um 13.00 Uhr, ebenfalls auf der PetExpo gehalten wird.
Nachtrag Dezember 2016:
Eine gekürzte Version dieses Artikels ist zu unserer großen Freude im Hundeguide “FRED & OTTO unterwegs in Niederösterreich” erschienen.
Toll, dass Aufklärung über moderne Hundeerziehung hier eine Plattform geboten wird!
Erhältlich ist das Buch im gut sortierten Buchhandel oder beispielsweise hier.