Zuerst einmal: es wird immer behauptet, man könne Angst nicht verstärken. Und so wie’s gemeint ist, stimmt das schon. Aber in Wirklichkeit passieren im Alltag hunderttausend gut oder weniger gut gemeinte Dinge, die unseren Hunden keinesfalls dabei helfen, künftige Herausforderungen souveräner zu meistern.
Vollkommen richtig ist, dass man durch Social Support und Leckerchen Angst, die ja eine Emotion und kein Verhalten ist, nicht verstärken kann. Darüber wurde an anderer Stelle schon ausführlich geschrieben, deshalb gibt es hier zum besseren Verständnis nur ein einfaches Gleichnis.
Stellt es euch folgendermaßen vor: ihr hattet als Kind im Ferienlager sicher mal Angst vor Geistern oder Heimweh. Wenn dann irgendjemand Gummibären ausgepackt und euch angeboten oder euch vielleicht auch nur getröstet hat, haben die vielleicht nicht alles wieder gut gemacht, aber die Situation auch nicht verschlimmert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr euch durch die soziale Interaktion und etwas zum Lutschen oder Zerkauen ein bisschen besser gefühlt habt, ist jedoch ziemlich hoch.
Also: Nähe, beruhigendes Sprechen, Trösten, Streicheln und Da Sein ist vollkommen in Ordnung. Im Fachjargon bezeichnen wir das als „Social Support“, also soziale Unterstützung. Diese findet man in allen hochsozialen Tieren, in Folge sollten wir sie auch unseren Hunden zugestehen. Aus Studien wissen wir, dass Blick- und Körperkontakt zur Bezugsperson zur Ausschüttung des stressreduzierenden und Bindungsfördernden Hormons Oxytocin führen. Somit haben wir ein weiteres Argument dafür, unserem ängstlichen Hund Beistand zu leisten anstatt ihn womöglich zu ignorieren, wegzusperren oder gar zu zwingen, diese Situation jetzt zu bewältigen.
So macht man’s schlimmer
Als alte i-Tüpferl-Reiterin muss ich es sagen: Angstreaktionen können sehr wohl bestätigt werden. Ein Hund, der (aus Angst) schnappt, lernt von dem zurückzuckenden Menschen, dass er sich so etwas mehr Raum verschaffen kann. Einer, der einen Artgenossen noch nicht einzuschätzen weiß und ruckartig am Halsband weitergezogen wird, lernt, dass Unsicherheit womöglich zu Schmerzen führt. Der Welpe, dessen Besitzerin ihn bei jeder Hund-Hund-Interaktion plötzlich hochreißt, verknüpft seine Artverwandten garantiert auch nicht positiv, denn der Verlust von Bodenkontakt ist eine verunsichernde Angelegenheit. Ebenso kontraproduktiv ist es zu meinen, der Hund „müsse da durch“ – Reizüberflutung ist keine tierschutzkonforme Methode. Aufgrund von Angst und Stress trifft der Hund womöglich eine für ihn und/oder andere gefährliche Entscheidung wie Angriff oder Flucht.
Etliche Studien bestätigen: Hunde orientieren sich an unserem Verhalten, um Situationen zu bewerten. Wenn wir reinkeppeln, macht Bellen doppelt so viel Spaß. Wenn wir jedes Mal wie von der Tarantel gestochen aufspringen, wenn’s an der Türe klingelt, tut das auch der Hund. Stimmungsübertragung bezeichnet ein Phänomen, das inzwischen ausgiebig erforscht wird: Wenn wir besonders panisch, hektisch oder unnatürlich agieren, animiert dies den Hund zu aufgeregtem oder verunsichertem Verhalten. Und das ist genau der Punkt, an dem wir Angstreaktionen ungewollterweise verstärken können.
Aber kehren wir der Einfachheit halber nochmals zum Ferienlagerszenario zurück:
Nach dem Erzählen von Geistergeschichten kam’s oft dazu, dass man dann gemeinsam jedes Geräusch, jeden Schatten analysierte. Gab’s statt Trost und Beruhigung mehr „was war das? hast du DAS gehört?“ kam’s zu einem kollektiven Luftanhalten und Bibbern unter großer Anspannung, die meistens erst durch einen intervenierenden Erwachsenen unterbrochen wurde. Dieser wiederum leistete, so fern er eingeweiht wurde, sozialen Beistand, in dem unter dem Bett und in den Kästen nach Monstern nachgesehen und deren Absenz glaubwürdig versichert wurde. Wurden die verängstigten, aufgedrehten Kinder hingegen nur ins Bett geschickt mit der Anweisung, jetzt zu schlafen, kostete das gewiss Punkte auf der Beliebtheitsskala.
Do’s
- Es ist wichtig, dass der ängstliche Hund Strategien erlernt, um die Situation zu bewältigen. Hierfür sollte in den meisten Fällen ein qualifizierter und modern arbeitender Profi herangezogen werden. Bei Angstproblemen wird meist mit Management (= Ursachenvermeidung), Desensibilisierung, Gegenkonditionierung und Social Support gearbeitet. Parallel oder anschließend kann man mit konditionierter Entspannung, Lösungsstrategien, Kommunikations- und Alternativverhalten des Hundes trainieren.
- Dem Hund den Tierarztbesuch mit einer Futtertube schmackhafter zu machen, wird seine Angst jedenfalls nicht bestärken. Auch Silvester, Gewitter oder andere Situationen, die den Hund ängstigen, geben Anlass dazu, ihm Beistand zu leisten. Nähe, Körperkontakt, beruhigendes Sprechen (keine Romane, kein „Betütteln“), langsames Streicheln usw. sind alles Maßnahmen, die dem ängstlichen Hund nicht schaden können.
- Wenn der Vierbeiner es vorzieht, sich zurückzuziehen, ermöglicht es ihm durch eine Box, selbstgebaute „Höhle“ oder Decke in einem ruhigeren Bereich.
- Um ängstliche Hunde aus verunsichernden Situationen zu führen, erweist sich zudem der positiv konditionierte Brustgeschirrgriff oftmals als sehr hilfreich.
- Gebt eurem Hund so fern möglich ausreichend Abstand zum angstauslösenden Reiz. Er muss da nicht einfach damit umgehen können, er darf ihn wahrnehmen.
- Ihr dürft im Übrigen auch in die entgegengesetzte Richtung ausweichen, wenn sich keine andere Gelegenheit ergibt. Wenn ihr während einer Kehrtwendung cool und souverän bleibt (wohlgemerkt nicht: unnahbar), wird euer Hund bestimmt nicht glauben, „dass das Rudel jetzt flüchtet“.
- Mit Leckerchen zu arbeiten, ist gerade bei ängstlichen Hunden eine tolle Sache. Verweigert euer Vierbeiner das Futter oder nimmt es besonders „schnappig“, ist sein Stresslevel zu hoch, als dass Lernverhalten gesteuert werden könnte. Der Abstand passt meistens, wenn euer Hund den Reiz zwar wahrnimmt , aber cool bleibt, einfache Kommandos ausführen und Belohnungen weichmaulig annehmen kann. Bei Geräuschangst kann ein Kauartikel zum Abreagieren oder ein Kong zum beruhigenden Schlecken eine große Unterstützung sein.
- Wenn sich der Hund trotz sichtbarem Unwohlsein ruhig und kooperativ zeigt, in dem er zwischendurch Blickkontakt sucht oder Kommandos ausführt, darf man das durchaus mit Leckerchen und beruhigenden, bestätigenden Worten würdigen. Die Prinzipien der positiven Bestärkung bleiben bestehen: Das erwünschte Verhalten (= cool bleiben; fragen, wie die Situation zu bewerten ist; weitergehen usw.) werden bestärkt und sollten in Folge künftig öfter auftreten. Das wiederum führt dazu, dass mit der Zeit die Angst weniger schlimm wird.
Don’ts
- Abzuraten ist davon, den Hund durch beängstigende Situationen einfach immer „durchzulocken“ – hier besteht die Möglichkeit, dass er plötzlich vom Auslöser überrascht wird und dies als Vertrauensbruch/besonders schlimm abspeichert oder im Affekt unvorhersehbar reagiert.
- Zwingt den Hund nicht zu seinem Glück. Lasst ihn entscheiden, wie viel Nähe oder Körperkontakt ihm angenehm ist. Wenn er sich für den Kong, Kauartikel oder Leckerchen nicht interessiert, bedrängt ihn bitte nicht damit.
- Vorsicht mit Kommandos: Das Gehirn eines ängstlichen Tieres ist damit beschäftigt, Reaktionen in Bezug auf den Angstauslöser abzuwägen. Somit ist euer Hund womöglich gar nicht fähig, eure Aufforderung richtig zu verarbeiten. Hunde kommunizieren zudem viel über Körpersprache. Ein aufgetragenes Verhalten abbrechen zu müssen (beispielsweise aus dem Sitz aufzustehen, um Stress Display zu zeigen) bringt den Hund in einen Interessenskonflikt – kommt ihm der Auslöser jedoch zu nah, bleibt ihm fast nichts anderes übrig. Werdet ihr dann ungehalten oder wiederholt das Kommando zu oft, wird der Druck auf den Hund und somit sein Stresslevel erhöht.
- Ein ängstliches Tier sollte niemals frontal bedrängt werden. Auch ein in die Ecke drängen (beispielsweise Absitzen in einem Hauseingang, damit ein Roller passieren kann), kann zu plötzlichen Verhaltensausbrüchen führen.
- Aufgeregte und hektische Aktionen eurerseits erhöhen die Emotionalität eures Hundes und die Wahrscheinlichkeit, dass er im Affekt mit einer „Kurzschlussreaktion“ reagiert. Vermeidet es also, euren Hund plötzlich an euch zu reißen, an der Leine zu zerren oder zu alarmiert auf ihn einzureden.
- Keinesfalls solltet ihr euren Hund wegsperren oder zwingen, Distanz zu euch zu halten. Es ist wichtig, dass ihr eurem Fellkind Beistand leistet, wenn es sich fürchtet. Wenn er eure Nähe sucht, solltet ihr ihm dies ermöglichen. Damit solltet ihr es aber nicht übertreiben. Wenn euer Hund große Angst vor Gewitter hat und diese ausschließlich durch Nähe zu euch bewältigen kann, ist dies in verschiedenen Szenarien problematisch. Sollte es einmal in eurer Abwesenheit gewittern, kennt er dann keinerlei Bewältigungsstrategien und ruiniert möglicherweise die halbe Einrichtung im Versuch auszubrechen und zu euch zu kommen. Übertriebenes Trost- und Beistandsverhalten eurerseits könnte zu Problemen wie Abhängigkeit und Trennungsangst führen. Deshalb ist es so wichtig, dass ihr auch Emotionsveränderung und Bewältigungsstrategien trainiert.
Was ihr euch daraus hoffentlich mitnehmen könnt ist folgendes: Durch falsches Verhalten eurerseits könnt ihr die Angstreaktionen eures Hundes durchaus verstärken. Das Füttern von Leckerchen, sanftes Streicheln und beruhigendes Sprechen gehören allerdings nicht dazu.
In diesem Sinne: Leistet eurem Hund getrost Beistand, wenn er sich fürchtet.
Weiterführende Links:
- Unsicherheit, Furcht und Angst
- Körperreaktionen bei Angst
- Social Support
- Kein Bestärken von Aggression durch Zuwendung
- Mythos Angst Ignorieren
Coverfoto von: Elise Madl